Zeichnung oder Fotografie?
Sieht dieses Portrait auf den ersten Blick nicht aus wie eine Zeichnung? Tatsächlich ist es eine Fotografie. Zu ihrer Entstehungszeit, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, war es allerdings weit verbreitete Praxis, Silbergelatine-Fotografien zu überzeichnen und zu retuschieren – insbesondere Portraits wurden gerne auf diese Weise veredelt. Auf diesem Foto wurde großzügig mit einem Kohlestift gezeichnet – nutzen Sie die Zoomfunktion, um sich Details des schwarzen Jacketts und der feinen Striche im Bereich des Schnurrbarts genauer anzusehen. Neben diesen Besonderheiten ist die glänzende Folie auffällig, die ursprünglich nicht zur Fotografie gehörte.
Silbergelatine-Fotografie
Ab den 1880er Jahren konnten Fotografien erstmals in chemischen Bädern entwickelt werden, weshalb sie auch den Namen „developing-out print“ (englisch für „entwickelter Abzug“) tragen. Dieser Schritt war revolutionär, bildete er doch den Grundbaustein für die Fotografie, wie wir sie heute kennen. Der Abzug entsteht nach kurzer Belichtung durch eine Reihe chemischer Prozesse. Diese finden innerhalb der lichtempfindlichen Gelatineschicht (Emulsionsschicht) statt, die auf einem Barytpapier liegt. Durch die Belichtung entsteht das schwarzweiß bis grauwertige Bild, das aus metallischen Silberpartikeln besteht – diese sind in die Gelatine eingebettet. Bei dem Portrait liegt unter dieser Bildschicht eine weiße, sog. Barytschicht, die den Kontrast und die Glätte des Fotos erhöht. Im Folgenden werden Sie mehr über diese Schichten erfahren.
Es ist nicht alles Gold, was glänzt
Die auf dem Foto klebende Folie erzeugte einige Probleme. Gleich offensichtlich war, dass sie die optische Wirkung des Bildes stark veränderte, denn die ursprünglich matte Oberfläche war kontrastreicher und dunkler als im Originalzustand. Außerdem gab es lange Brüche in der Emulsionsschicht, besonders auffällig war das im Gesicht im Bereich der Stirn. Dort klaffte sogar ein Spalt, weil die abgelöste Gelatineschicht schrumpfte und damit die weiße Barytschicht freilegte. Das Aufbringen der Folie war ein wohlgemeinter Versuch, schon bestehende Schäden zu sichern. So sind zwar alle Bildteile erhalten geblieben, aber die Beklebung hat die empfindliche Emulsionsschicht stellenweise mitsamt der Folie weiter abgehoben. Außerdem war klar, dass sie auf dem Bild weiter altern und die Fotografie in der Zukunft womöglich bräunlich verfärben würde. Um den lokalgeschichtlichen und persönlichen Wert des Fotos zu erhalten, war ein restauratorischer Eingriff unbedingt erforderlich.
Das Abnehmen der Folie
Die aufgeklebte Folie erzeugte enorme Spannungen in der Gelatine- bzw. Bildschicht des Fotos. Um diese Spannungen aufzuheben und das Foto langfristig zu erhalten, formulierten wir unser Ziel: die komplette Abnahme der Folie und – das musste daraus folgen – die Sicherung der fragmentierten Bildschicht. Um es vorweg zu nehmen: Wir haben unser Ziel erreicht, die Folie ist komplett abgenommen! Aber wie genau ging die Behandlung vor sich? Kurzgefasst: es war ein äußerst komplexer Vorgang, über den es sich mehr zu lesen lohnt.
Ein komplexer Vorgang
Das Ablösen einer Folie mit Haftklebstoff von einer empfindlichen Objektoberfläche führt leicht zu Schädigungen. Deshalb ist ein herantastend kontrolliertes Vorgehen enorm wichtig. Um es anhand eines alltäglichen Beispiels zu illustrieren: Zieht man ein guthaftendes Tesafilm®-Klebeband schnell und ruckartig von einem Blatt Papier ab, so können dessen Fasern dabei mitgerissen werden. Geht man behutsam vor, so kann man diesen Schaden möglicherweise vermeiden. Dagegen war der – in seinem Ziel ja durchaus vergleichbare – restauratorische Eingriff wegen der mehrfachen Empfindlichkeiten der Fotografie viel komplexer. Die Berücksichtigung fachlich-wissenschaftlicher Richtlinien beim Entfernen der Selbstklebefolie ist mit einigen Anforderung verknüpft.
Welche Anforderungen mussten wir erfüllen?
Natürlich durfte die Fotografie nicht weiter geschädigt werden, die Fotoschicht und ihre Übermalung mit Kohlestift mussten erhalten bleiben. Um das gewährleisten zu können, haben wir einen Arbeitsplatz an einem Mikroskop mit geschickt ausgeleuchtetem Operationsfeld eingerichtet. Ringsum wurde das Foto schützend abgedeckt. Für den Eingriff haben wir kontrolliert Warmluft zugeführt, wodurch der Klebstoff erweicht wurde. Mit einem Teflonspatel konnte die Folie so millimeterweise Stück für Stück von der Oberfläche abgelöst werden.
Versteckte Problematik – Haarrisse in der Bildschicht
Erinnern Sie sich an die angesprochene Schrumpfung der Gelatine- bzw. Bildschicht? Stellenweise hat sie sich noch vor dem Aufkleben der Folie so stark zusammengezogen, dass dadurch – im Gesicht des Portraitierten – ein sichtbarer, weißer Spalt entstanden war. Die Folie hat darüber hinaus eine solche Spannung auf die Gelatineschicht erzeugt, dass sie dadurch die Bildung vieler weiterer, feinster Haarrisse begünstigte. Diese wurden erst nach Abnahme der Folie voll erkennbar und verlaufen kreuz und quer über das Foto. Diese Bildschicht haben wir in unserer Behandlung in ihrer Gesamtheit sichern können.
Klebstoff ist nicht gleich Klebstoff
Das Schlimmste, was einer Fotografie passieren kann, ist der Verlust ihrer Bildschicht. Hinsichtlich ihrer Sicherung war die Auswahl des richtigen Klebstoffs zentral. Er muss, um für die Restaurierung geeignet zu sein, nicht nur alterungsbeständig sein, sondern auch auf die Besonderheiten der zu verklebenden Schichten abgestimmt werden – in unserem Fall die extrem feuchtigkeitsempfindliche Bildschicht mit dem darunterliegen Barytpapier. Hier war der Klebstoff unserer Wahl Hydroxypropylcellulose (kurz: Klucel). Es handelt sich dabei um einen Celluloseether, der in der Restaurierung schon seit Jahrzehnten erforscht ist. Seine besondere Eigenschaft besteht darin, in Wasser und in Ethanol löslich zu sein. Er ist dadurch auf die Festigung von wasserempfindlichen Objekten ausgerichtet und eignete sich daher perfekt für das Sichern der Bildschicht.
Sichern der wasserempfindlichen Bildschicht
Wir erinnern uns zurück: Die Bildschicht besteht im Wesentlichen aus metallischen Silberpartikeln, die in Gelatine eingebettet liegen. Die Empfindlichkeit dieser Schicht gegenüber Feuchtigkeit ist vor allem der Gelatine geschuldet. Wenn es in ihrer Umgebung feucht wird, nimmt sie gerne viel Wasser auf, schrumpft aber auch extrem, wenn ihr das Wasser wieder entzogen wird, es also ringsum trocken wird. Die auf dem Papierträger aufliegende Barytschicht quillt oder schrumpft zwar kaum bei Feuchtigkeit, ist aber porös und nimmt wiederum gerne viel Klebstoff auf, der in diesem Fall nicht mehr zum Verkleben mit der Bildschicht verfügbar ist. Welche Parameter mussten also noch erfüllt werden?
Erfolgreiches Einstellen aller nötigen Parameter
Für unsere spezielle Verklebung mit Klucel galt: der Klebstoff musste ausreichend wasserarm sein, um die Gelatine am Quellen zu hindern, er musste ausreichend konzentriert sein, um nicht in die Barytschicht abzusacken und er musste ausreichend dünnflüssig sein, um ohne Erhebungen zu trocknen. Wir haben all diese Parameter eingestellt, um die ganze Bildschicht erfolgreich sichern zu können.
Das ursprüngliche Bild digital retuschiert
Schäden können für ein historisches Objekt wichtig werden, wenn sie einen bedeutsamen Teil seiner Geschichte erzählen. Ob die Schädigung an diesem Foto wichtig war, darüber kann man diskutieren. Wesentlich war aber auch, dass wir das Original nicht retuschiert haben, weil es auch ohne eine solche Retusche als Portrait gut lesbar ist. Aber ist es nicht auch reizvoll, einen Eindruck davon zu bekommen, wie das Portrait im ursprünglichen Zustand aussah? Gemeinsam mit dem Besitzer haben wir uns für eine Retusche der digitalen Datei des Fotos entschieden.
Digitale Retusche
Mit Photoshop CC wurde an der digitalen Datei, die als kalibrierte Aufnahme des originalen Fotos vorlag, eine digitale Retusche durchgeführt. Die feinen Haarrisse, die am Original unverändert sichtbar bleiben werden, wurden auf diese Weise in der digitalen Kopie unsichtbar gemacht. So könnten nun auch Abzüge erstellt werden, in denen keine Schäden mehr sichtbar sind. Zum Vergleich hat man die digitale Datei vor der Retusche und das Original vorliegen. All diese erstellten Dateien – die ohne und mit digitaler Retusche – werden Teil der Objektgeschichte, und können historische Schäden und aktuelle Restaurierungen verdeutlichen.
Als Familie vereint
Im Zuge der Restaurierung konnte die von uns behandelte Fotografie einer Gruppe von drei weiteren Portraitaufnahmen zugeordnet werden, die die Urgroßeltern des Besitzers zeigen. So wurde aus dem unbekannten Herrn ein konkreter Vorfahre, der von 1863 bis 1930 in den Niederlanden lebte. Als Familie vereint, werden die vier Fotografien künftig in neu angefertigten Rahmen und Passepartouts zusammengestellt gezeigt werden. So können sie unter konservatorischen Gesichtspunkten sicher gehängt und aufbewahrt werden. Die Montierung und Rahmung sind dabei auf die Empfindlichkeit der Fotografien ausgerichtet. Als Gruppe werden diese Portraitfotografien noch lange erhalten bleiben und künftige Betrachter faszinieren können!
Montierung
Ziel der Montierung war es, die vier Fotografien stabil und plan liegend zu sichern, ohne dabei etwa Zugspannung anzulegen, die zu neuen Brüchen in den Emulsionsschichten führen könnte. Zuerst wurden rückseitig an jedem Bild 14 Japanpapierstreifen angebracht. Die jeweilige Fotografie wurde dazu auf einen dünnen, nach DIN 9706 alterungsbeständigen Archivkarton gelegt. Die Japanpapierstreifen (1) wurden durch Schlitze im Karton (2) durchgezogen und rückseitig so verklebt, dass das Foto spannungsfrei liegt, aber nicht verrutschen kann. Diese Montierung ist für den Betrachter des gerahmten Bildes unsichtbar – die Fotos scheinen im Passepartout zu „schweben“.
Rahmung
Um zu verhindern, dass die Fotografie mit dem Glas des Rahmens in Berührung kommt, wurde das vorne aufliegende Passepartout zusätzlich mit einem (versteckt liegenden) Abstandshalter versehen. Das Rahmenpaket wurde außerdem vollständig geschlossen, so entsteht ein zusätzlicher Schutz vor klimatischen Schwankungen und Staubeintrag. Dazu wurden in dieser Reihenfolge Glas (1), Passepartout (2), montierte Fotografie (3), Rückwand (4), Wellpappe (5) und eine Verbundfolie am Rand entlang mit einem Archivklebeband versiegelt. Wir haben natürlich nur alterungsbeständige Materialien verwendet. Die Verbundfolie ist gasundurchlässig, schützt also vor dem Eintritt von Feuchtigkeit oder auch Schadgasen.
Eigentümer: aus Privatbesitz
Verfasser des Texts: Franziska Leidig, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Fotos: Bild-1_Vertiefungsebene-1: Graphics Atlas, Image Permanence Institute
Bild-2: Irene Brückle, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Alle weiteren: Franziska Leidig, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Zeichnung oder Fotografie?
Sieht dieses Portrait auf den ersten Blick nicht aus wie eine Zeichnung? Tatsächlich ist es eine Fotografie. Zu ihrer Entstehungszeit, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, war es allerdings weit verbreitete Praxis, Silbergelatine-Fotografien zu überzeichnen und zu retuschieren – insbesondere Portraits wurden gerne auf diese Weise veredelt. Auf diesem Foto wurde großzügig mit einem Kohlestift gezeichnet – nutzen Sie die Zoomfunktion, um sich Details des schwarzen Jacketts und der feinen Striche im Bereich des Schnurrbarts genauer anzusehen. Neben diesen Besonderheiten ist die glänzende Folie auffällig, die ursprünglich nicht zur Fotografie gehörte.
Silbergelatine-Fotografie
Ab den 1880er Jahren konnten Fotografien erstmals in chemischen Bädern entwickelt werden, weshalb sie auch den Namen „developing-out print“ (englisch für „entwickelter Abzug“) tragen. Dieser Schritt war revolutionär, bildete er doch den Grundbaustein für die Fotografie, wie wir sie heute kennen. Der Abzug entsteht nach kurzer Belichtung durch eine Reihe chemischer Prozesse. Diese finden innerhalb der lichtempfindlichen Gelatineschicht (Emulsionsschicht) statt, die auf einem Barytpapier liegt. Durch die Belichtung entsteht das schwarzweiß bis grauwertige Bild, das aus metallischen Silberpartikeln besteht – diese sind in die Gelatine eingebettet. Bei dem Portrait liegt unter dieser Bildschicht eine weiße, sog. Barytschicht, die den Kontrast und die Glätte des Fotos erhöht. Im Folgenden werden Sie mehr über diese Schichten erfahren.
Es ist nicht alles Gold, was glänzt
Die auf dem Foto klebende Folie erzeugte einige Probleme. Gleich offensichtlich war, dass sie die optische Wirkung des Bildes stark veränderte, denn die ursprünglich matte Oberfläche war kontrastreicher und dunkler als im Originalzustand. Außerdem gab es lange Brüche in der Emulsionsschicht, besonders auffällig war das im Gesicht im Bereich der Stirn. Dort klaffte sogar ein Spalt, weil die abgelöste Gelatineschicht schrumpfte und damit die weiße Barytschicht freilegte. Das Aufbringen der Folie war ein wohlgemeinter Versuch, schon bestehende Schäden zu sichern. So sind zwar alle Bildteile erhalten geblieben, aber die Beklebung hat die empfindliche Emulsionsschicht stellenweise mitsamt der Folie weiter abgehoben. Außerdem war klar, dass sie auf dem Bild weiter altern und die Fotografie in der Zukunft womöglich bräunlich verfärben würde. Um den lokalgeschichtlichen und persönlichen Wert des Fotos zu erhalten, war ein restauratorischer Eingriff unbedingt erforderlich.
Das Abnehmen der Folie
Die aufgeklebte Folie erzeugte enorme Spannungen in der Gelatine- bzw. Bildschicht des Fotos. Um diese Spannungen aufzuheben und das Foto langfristig zu erhalten, formulierten wir unser Ziel: die komplette Abnahme der Folie und – das musste daraus folgen – die Sicherung der fragmentierten Bildschicht. Um es vorweg zu nehmen: Wir haben unser Ziel erreicht, die Folie ist komplett abgenommen! Aber wie genau ging die Behandlung vor sich? Kurzgefasst: es war ein äußerst komplexer Vorgang, über den es sich mehr zu lesen lohnt.
Ein komplexer Vorgang
Das Ablösen einer Folie mit Haftklebstoff von einer empfindlichen Objektoberfläche führt leicht zu Schädigungen. Deshalb ist ein herantastend kontrolliertes Vorgehen enorm wichtig. Um es anhand eines alltäglichen Beispiels zu illustrieren: Zieht man ein guthaftendes Tesafilm®-Klebeband schnell und ruckartig von einem Blatt Papier ab, so können dessen Fasern dabei mitgerissen werden. Geht man behutsam vor, so kann man diesen Schaden möglicherweise vermeiden. Dagegen war der – in seinem Ziel ja durchaus vergleichbare – restauratorische Eingriff wegen der mehrfachen Empfindlichkeiten der Fotografie viel komplexer. Die Berücksichtigung fachlich-wissenschaftlicher Richtlinien beim Entfernen der Selbstklebefolie ist mit einigen Anforderung verknüpft.
Welche Anforderungen mussten wir erfüllen?
Natürlich durfte die Fotografie nicht weiter geschädigt werden, die Fotoschicht und ihre Übermalung mit Kohlestift mussten erhalten bleiben. Um das gewährleisten zu können, haben wir einen Arbeitsplatz an einem Mikroskop mit geschickt ausgeleuchtetem Operationsfeld eingerichtet. Ringsum wurde das Foto schützend abgedeckt. Für den Eingriff haben wir kontrolliert Warmluft zugeführt, wodurch der Klebstoff erweicht wurde. Mit einem Teflonspatel konnte die Folie so millimeterweise Stück für Stück von der Oberfläche abgelöst werden.
Versteckte Problematik – Haarrisse in der Bildschicht
Erinnern Sie sich an die angesprochene Schrumpfung der Gelatine- bzw. Bildschicht? Stellenweise hat sie sich noch vor dem Aufkleben der Folie so stark zusammengezogen, dass dadurch – im Gesicht des Portraitierten – ein sichtbarer, weißer Spalt entstanden war. Die Folie hat darüber hinaus eine solche Spannung auf die Gelatineschicht erzeugt, dass sie dadurch die Bildung vieler weiterer, feinster Haarrisse begünstigte. Diese wurden erst nach Abnahme der Folie voll erkennbar und verlaufen kreuz und quer über das Foto. Diese Bildschicht haben wir in unserer Behandlung in ihrer Gesamtheit sichern können.
Klebstoff ist nicht gleich Klebstoff
Das Schlimmste, was einer Fotografie passieren kann, ist der Verlust ihrer Bildschicht. Hinsichtlich ihrer Sicherung war die Auswahl des richtigen Klebstoffs zentral. Er muss, um für die Restaurierung geeignet zu sein, nicht nur alterungsbeständig sein, sondern auch auf die Besonderheiten der zu verklebenden Schichten abgestimmt werden – in unserem Fall die extrem feuchtigkeitsempfindliche Bildschicht mit dem darunterliegen Barytpapier. Hier war der Klebstoff unserer Wahl Hydroxypropylcellulose (kurz: Klucel). Es handelt sich dabei um einen Celluloseether, der in der Restaurierung schon seit Jahrzehnten erforscht ist. Seine besondere Eigenschaft besteht darin, in Wasser und in Ethanol löslich zu sein. Er ist dadurch auf die Festigung von wasserempfindlichen Objekten ausgerichtet und eignete sich daher perfekt für das Sichern der Bildschicht.
Sichern der wasserempfindlichen Bildschicht
Wir erinnern uns zurück: Die Bildschicht besteht im Wesentlichen aus metallischen Silberpartikeln, die in Gelatine eingebettet liegen. Die Empfindlichkeit dieser Schicht gegenüber Feuchtigkeit ist vor allem der Gelatine geschuldet. Wenn es in ihrer Umgebung feucht wird, nimmt sie gerne viel Wasser auf, schrumpft aber auch extrem, wenn ihr das Wasser wieder entzogen wird, es also ringsum trocken wird. Die auf dem Papierträger aufliegende Barytschicht quillt oder schrumpft zwar kaum bei Feuchtigkeit, ist aber porös und nimmt wiederum gerne viel Klebstoff auf, der in diesem Fall nicht mehr zum Verkleben mit der Bildschicht verfügbar ist. Welche Parameter mussten also noch erfüllt werden?
Erfolgreiches Einstellen aller nötigen Parameter
Für unsere spezielle Verklebung mit Klucel galt: der Klebstoff musste ausreichend wasserarm sein, um die Gelatine am Quellen zu hindern, er musste ausreichend konzentriert sein, um nicht in die Barytschicht abzusacken und er musste ausreichend dünnflüssig sein, um ohne Erhebungen zu trocknen. Wir haben all diese Parameter eingestellt, um die ganze Bildschicht erfolgreich sichern zu können.
Das ursprüngliche Bild digital retuschiert
Schäden können für ein historisches Objekt wichtig werden, wenn sie einen bedeutsamen Teil seiner Geschichte erzählen. Ob die Schädigung an diesem Foto wichtig war, darüber kann man diskutieren. Wesentlich war aber auch, dass wir das Original nicht retuschiert haben, weil es auch ohne eine solche Retusche als Portrait gut lesbar ist. Aber ist es nicht auch reizvoll, einen Eindruck davon zu bekommen, wie das Portrait im ursprünglichen Zustand aussah? Gemeinsam mit dem Besitzer haben wir uns für eine Retusche der digitalen Datei des Fotos entschieden.
Digitale Retusche
Mit Photoshop CC wurde an der digitalen Datei, die als kalibrierte Aufnahme des originalen Fotos vorlag, eine digitale Retusche durchgeführt. Die feinen Haarrisse, die am Original unverändert sichtbar bleiben werden, wurden auf diese Weise in der digitalen Kopie unsichtbar gemacht. So könnten nun auch Abzüge erstellt werden, in denen keine Schäden mehr sichtbar sind. Zum Vergleich hat man die digitale Datei vor der Retusche und das Original vorliegen. All diese erstellten Dateien – die ohne und mit digitaler Retusche – werden Teil der Objektgeschichte, und können historische Schäden und aktuelle Restaurierungen verdeutlichen.
Als Familie vereint
Im Zuge der Restaurierung konnte die von uns behandelte Fotografie einer Gruppe von drei weiteren Portraitaufnahmen zugeordnet werden, die die Urgroßeltern des Besitzers zeigen. So wurde aus dem unbekannten Herrn ein konkreter Vorfahre, der von 1863 bis 1930 in den Niederlanden lebte. Als Familie vereint, werden die vier Fotografien künftig in neu angefertigten Rahmen und Passepartouts zusammengestellt gezeigt werden. So können sie unter konservatorischen Gesichtspunkten sicher gehängt und aufbewahrt werden. Die Montierung und Rahmung sind dabei auf die Empfindlichkeit der Fotografien ausgerichtet. Als Gruppe werden diese Portraitfotografien noch lange erhalten bleiben und künftige Betrachter faszinieren können!
Montierung
Ziel der Montierung war es, die vier Fotografien stabil und plan liegend zu sichern, ohne dabei etwa Zugspannung anzulegen, die zu neuen Brüchen in den Emulsionsschichten führen könnte. Zuerst wurden rückseitig an jedem Bild 14 Japanpapierstreifen angebracht. Die jeweilige Fotografie wurde dazu auf einen dünnen, nach DIN 9706 alterungsbeständigen Archivkarton gelegt. Die Japanpapierstreifen (1) wurden durch Schlitze im Karton (2) durchgezogen und rückseitig so verklebt, dass das Foto spannungsfrei liegt, aber nicht verrutschen kann. Diese Montierung ist für den Betrachter des gerahmten Bildes unsichtbar – die Fotos scheinen im Passepartout zu „schweben“.
Rahmung
Um zu verhindern, dass die Fotografie mit dem Glas des Rahmens in Berührung kommt, wurde das vorne aufliegende Passepartout zusätzlich mit einem (versteckt liegenden) Abstandshalter versehen. Das Rahmenpaket wurde außerdem vollständig geschlossen, so entsteht ein zusätzlicher Schutz vor klimatischen Schwankungen und Staubeintrag. Dazu wurden in dieser Reihenfolge Glas (1), Passepartout (2), montierte Fotografie (3), Rückwand (4), Wellpappe (5) und eine Verbundfolie am Rand entlang mit einem Archivklebeband versiegelt. Wir haben natürlich nur alterungsbeständige Materialien verwendet. Die Verbundfolie ist gasundurchlässig, schützt also vor dem Eintritt von Feuchtigkeit oder auch Schadgasen.
Eigentümer: aus Privatbesitz
Verfasser des Texts: Franziska Leidig, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Fotos: Bild-1_Vertiefungsebene-1: Graphics Atlas, Image Permanence Institute
Bild-2: Irene Brückle, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Alle weiteren: Franziska Leidig, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart